2025 I Redebeitrag „Es gibt kein Recht auf die eigene Angst“

Redebeitrag der Antifa Salzwedel zu deren Demo am 05. Juli 2025 in Salzwedel.

Es gibt kein Recht auf die eigene Angst!

Nazi-Gewalttaten, bröckelnde Brandmauern, islamistische und rechte Anschläge, AfD-Umfragewerte: In diesen Monaten kann einem Angst und Bange werden. Kein Wunder, wenn sich Menschen da zurückziehen, den Kopf in den Sand stecken. Dies Gefühl aber, Angst, hat ein Seltsames an sich. Denn mag man diese Angst auch verstehen, nachvollziehen können, so gilt doch auch: Es gibt kein Recht auf die eigene Angst.

Was heißt das? Zärtlichkeit unter Menschen, Liebe, Solidarität, dass das Leid der andern ein Stück weit das meine ist. Das Streben nach Befreiung aller. All das ist kein „Nice To Have“. Sie stellen einen Zwang dar. Eine Notwendigkeit, die erkennt, wer sich auf das Wagnis, das Problem des Menschseins wirklich einlässt. Dieser Zwang, diese Unfreiheit – dass ich über meine Mitmenschen eben nicht frei verfügen kann, dass ich mich von ihrem Unglück eben nicht einfach abschotten kann – diese Unfreiheit wirkt auf jeden Menschen. Selbst auf den, der sich dieser Einsicht verweigert. Und sich dabei besonders frei vorkommt.

Schieben wir unsere berechtigte Abscheu vor Faschist*innen für einen Moment beiseite, erkennen wir hinter ihrer wütenden Fassade: Angst. Mag sein, sie setzen alles daran, diesen ihren Moment der Schwäche vor unsern Augen zu verbergen. Durch einen Kult der Stärke. Durch wütend verzerrte Gesichtszüge, durch lautes Männergegröle. Und doch ist es jenes selbe Gebot der Zärtlichkeit, das es uns verbietet, es uns einfach zu machen und uns von dieser Fassade allzu sehr beeindrucken zu lassen. Selbst da, nein, gerade da, wo wir es mit Verbrecher*innen zu tun haben, wie Faschist*innen welche sind.

Der Appell an Rassist*innen, keine Rassist*innen zu sein, ist ja schließlich im tieferen Sinne dies: Es gibt kein Recht auf die eigene Angst. Ihr mögt eure Furcht vor Schwarzen Menschen, Frauen im Hidschab, deutsch-arabischen Jungs oder Geflüchteten kultiviert haben in Wut, in Verweigerung von Empathie, in Rücksichtslosigkeit, in Lust zur Gewalt. Allein: Ihr dürft nicht.

Wer immerzu auf sog. „Asis“ herumtrampeln muss, ist selbst tief verängstigt wegen eigener Deklassierung. Wenn von „Homophobie“ die Rede ist, von „-phobie“, dann ist diese Angst mit benannt. Der Homophobe lehnt gleichgeschlechtlich Liebende nicht einfach ab. Das allein könnte ja auch nie all die Energie, nie all die Lust(!) hinter der Zerstörung erklären, die der Homophobe im Leben anderer anzurichten trachtet. Erst, wenn wir von existentieller Angst vor der Homosexualität ausgehen, vermag das dies Drama wirklich zu erhellen. Homosexuelle erinnern Homophobe unbewusst an verloren gegangene, zutiefst beschämte Anteile ihrer eigenen Persönlichkeit.

Es sind Anteile, die von sich abzuschneiden, sich auszutreiben hatte, wer ein „richtiger“ Junge, ein „richtiges“ Mädchen werden musste. Erkennbare Homosexuelle rühren an diese niemals ganz auslöschbaren Spuren eines früher einmal dagewesenen Begehrens, eines intakten Körpers vor der Zurichtung des Patriarchats. Es ist ein Begehren, das nicht haben durfte, wer angewiesen war auf die Liebe von Mama, Papa und dem Rest der Gesellschaft. Das Erschrecken der Faschist*innen vor Lesben, Schwulen, Pansexuellen, es ist das Erschrecken vor der heimlichen Ahnung, selber in Wahrheit niemals ganz liebenswürdig sein zu können. Nie ein richtiger Mann, eine richtige Frau zu werden. Was hier droht, das ist aus der unreifen Sicht des Kindes nichts minder als der Tod.

Tod – Angst.

Angst ist nur verständlich in einer so furchteinflößenden Welt. Und doch treibt sie uns so oft in Unvernunft. Aus Angst handeln wir auf eine Weise, dass wir uns bald nur noch mehr ängstigen werden. Und dann wünschen wir immer weniger, zu verstehen. Was wir jetzt nur wollen, ist, dass die Angst weg soll, nein, dass weg soll, was uns ängstigt. Wir fliehen aus der Realität. Wir blenden Teile der Wirklichkeit aus. Angst – das heißt oft, dass wir egoistisch mit uns selbst beschäftigt sind – und uns auch noch vom Anderen missachtet fühlen, unserer Gefühle entwürdigt. So kommt es, dass wir nach und nach unsere Verantwortung vergessen. Anderen Gewalt tun. Und dabei glauben, uns nur gegen ihre Gewalt, ihren Zwang zu wehren.

Kein Recht auf die eigene Angst zu haben, dies einzusehen ist nicht ängstigend. Denn es verbietet uns gar nicht, Angst zu empfinden. Es zeigt uns vielmehr auf, dass es unmöglich ist, zutiefst widersprüchlich, sich der Angst zu ergeben. Wir sind angehalten, das Richtige zu tun, es immer wieder zu versuchen. Freiheit, das ist: Kein Recht auf die eigene Angst einzufordern. Zu tun, was notwendig ist. Mensch zu sein.

Darum sind wir heute hier. Wir haben Angst. Die Realität, in der wir leben, ist scheiß-bedrohlich. Heute ist ein kämpferischer Tag. Wir sind laut. Und doch verschließen wir uns nicht vor dem Versuch, zu verstehen. Zu lernen. Nicht nur die Welt zu hinterfragen, sondern eben auch uns selbst. Gerade uns selbst. Manche sagen, wir leben in Zeiten des Rechtsrucks. Man kann es auch eine „autoritäre Wende“ nennen. Nicht nur Mitte und Rechts werden autoritärer. Auch auf linker Seite wird die Verlockung spürbar groß, immer schon stark gewesen zu sein, entschlossen gewesen zu sein, frei von Zweifeln, immer schon Recht gehabt zu haben. Furchtlos zu sein.

Es gibt kein Recht auf die eigene Angst – das heißt nicht Angstabwehr. Es heißt, im Gegenteil, sich der eignen Angst bewusst zu sein. Und sich, jeden Tag, der Aufgabe zu stellen, trotz und wegen dieser Angst ~ verletzlich zu sein, zart. Und deshalb: mutig.

Ihr Lieben, die ihr heute gekommen seid: Lasst uns uns heute, hier in Salzwedel, miteinander dazu verabreden, mutig zu sein.